ERzählt 10: queste

Veröffentlicht am 21.06.2021

Er starrte aus dem Fenster.
Blau wurde zu Orange. Orange wurde zu schwarz.

Sein Blick blieb gleich: matt.

Seine Augenbrauen zogen sich im Grübeln zusammen.
Warum ihn? War es nicht seltsam, wie sie aus dem Nichts kamen und seine Tasche wollten? Was hatte er getan, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Er hatte da doch nur entspannt. Gut, sie meinte, es sei ein Park, den sogar die Leute von hier meiden. Das hätte er vorher wissen müssen. Aber warum musste es direkt am ersten Tag passieren? Er war so voller Vorfreude gewesen. Er hatte gedacht, jetzt beginne sein Abenteuer. Und es fand ein jähes Ende.

Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Erst leicht und dann immer mehr, bis man gar nicht mehr nach draußen schauen konnte.
Er wandte seinen Blick nicht ab. Er nahm gar nicht wahr, was um ihn herum passierte. Seine Aufmerksamkeit war nach innen gerichtet.

Seine Gedanken wanderten abermals zu seiner Retterin.
Wie konnte man so nett sein? In einer so scheinbar harten Welt? Was für ein Glück, dass sie im richtigen Moment am richtigen Ort gewesen war. Ohne sie hätte das alles viel schlimmer ausgehen können. Fast schon zu glücklich, dass sie da gewesen war… Steckte sie vielleicht mit den Typen unter eine Decke?
Aber das machte keinen Sinn. Warum hätte sie ihm dann überhaupt geholfen? Sie hatte nichts aus dem Portemonnaie genommen, hatte für ihn einen Krankenwagen gerufen und sich um den Papierkram im Krankenhaus gekümmert.
Er schämte sich, sie verdächtigt zu haben.
Wie konnte er so schnell sein Vertrauen in die Menschen verlieren?
Warum hatte das Universum ihm das angetan? Nachdem er dafür gekämpft hatte, wieder zu heilen und sich seinen Träumen zu stellen. War es ein Test? War es ein Zeichen aufzuhören? Vielleicht ja, vielleicht wollte es sagen, “Das ist nichts für dich, geh lieber wieder nach Hause”.
Nein. Dagegen sträubte er sich. Ein inneres Gefühl glaubte dem nicht. Dann hätte es nicht so drastische Wege gewählt.

Er hatte nichts mehr. Nur sein Portemonnaie. Kein Telefon, kein Laptop, keine Kleidung. Natürlich war das scheiße. Er hatte sich sehr geärgert, aber je länger er in absoluter Ruhe sitzen konnte, merkte er, wie gut es ihm tat. Wie zufrieden er damit war, alle Bande abgeschnitten zu haben. Er musste niemanden auf dem aktuellen Stand halten. Statt Nachrichten konnte er Briefe schicken und er könnte frei seiner Wege gehen. Eine romantische Vorstellung. Natürlich war ein Handy praktisch. Er konnte jetzt keine Anrufe machen, konnte nicht mal eben Google Maps benutzen oder schnell was zum Übernachten buchen.
Aber trotz allem: Irgendwie reizte ihn diese Abgeschnittenheit.
Wie ein weiser Eremit stellte er sich auf seinen Wegen vor.
Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

Mit nichts außer ihm im Raum, fühlte er sich plötzlich sehr frei.
Er lächelte, weil er erkannte, warum ihm es angetan wurde.
Er lächelte, weil er nicht wusste, ob er begann, sich Sachen einzureden.
Es war eine Hilfestellung. Ein Angebot und Chance. Einen Schritt zurück, um mehr Zeit mit sich und dem Moment zu verbringen. Einen Rückschritt für einen tieferen Blick in sich.
Ohne Möglichkeit kontaktiert zu werden, war er nun frei, sich vollkommen zu entfalten, ohne Brüche zu schaffen, die ihn womöglich verunsichern würden.

Er kicherte, dann konnte er es nicht mehr halten und fing an zu lachen. Er schloss die Augen, fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf.
Die Schwestern musste ihn für wahnsinnig halten.

Er würde weitermachen. In ihm selbst gab es die Stimme, die ihn vorantrieb.
Er spürte einfach, dass das die richtige Entscheidung sei. Egal, wie dumm sie zu schienen mag.

Schwarz wurde zu Rot. Rot wurde zu Blau.