ERzählt 11: aufbrechendes ei

Veröffentlicht am 29.06.2021

Nach drei langen Tagen wurde er endlich entlassen. Nach dem ersten niedergeschlagenen Tag, hatte sich die Freude und Aufregung auf die Weiterreise in den folgenden zwei immer weiter aufgebaut. Als er nun also die Mitteilung bekam, er könne gehen, hielt er es kaum aus, die letzten Formulare auszufüllen.
Mit der letzten Unterschrift und das Fallenlassen des Kugelschreibers sprach er sich nun frei. Endlich konnte er wieder gehen, wohin er wollte. Er war sogar noch freier als vorher. Befreit von seiner klassischen Vorstellung der Reise.
Die Erkenntnis, dass alles ein Test sei, beruhigte ihn auf seltsame Art und Weise, dabei wusste er nicht recht, auf was er geprüft werden würde.

Seine erste Tat sollte sein, die nötigsten Dinge zu kaufen: Kleidung und einen Rucksack. Vielleicht noch ein einfaches Tastenhandy für Notfälle. Die Idee eines minimalistischen Reisestils ließ ihn nicht los.
Auf seinen Weg der Besorgungen führten seine Schritte ihn zufällig am Ort seiner brutalen Niederschlagung vorbei. Nur dieses Mal war es helllichter Tag. Er verspürte eine seltsame Mischung aus Unwohlsein, Verlockung und Amüsiertheit.
Er ging weiter. So einladend das Tor auch aussah, er wollte es nicht darauf anlegen.

Dieses Mal entschied er sich für einen großen Reiserucksack. Er hatte keine Lust mehr, zwei Taschen herumzuschleppen. Das passte auch nicht in seine neue Vorstellung des Reisens.
Es war seltsam gewesen durch die Straßen zu gehen ohne etwas dabei zu haben. Fast als würde er hier leben. Aber als er sich den neuen Rucksack aufsetzte, fühlte er sich wieder wohler. Etwas, woran er sich halten konnte. Sein Zeichen als Tourist, als Wanderer. Sei es zum Guten oder zum Schlechten, es gefiel ihm. Es war das Zeichen, was ihn seinen zufälligen Bekanntschaften möglicherweise als einen der ihrigen ausweisen würde. Er war sich sich sicher, er würde welche treffen, die wie er, durch die Welt streiften.

Nachdem er alle seine Besorgungen erledigt hatte, sah er sich abermals vor dem Bahnhof wieder. Er überquerte den Zebrastreifen und war nur noch wenige Meter von der Eingangshalle entfernt. Doch seine Schritte wurden langsamer und er kam schließlich zum Stehen.
Nein.
So wollte er hier nicht gehen. Das wäre dem Ort nicht würdig. Es war sein erstes Ziel. Sollte er in seiner Erinnerung nur als der Ort bleiben, in dem er zusammengeschlagen wurde?
Klar, konnte er das nicht mehr rückgängig machen und auch wahrscheinlich nicht mehr vergessen. Aber er wollte diese Erinnerung noch mit etwas Schönem anreichern. Mit einem Ziel, was er sich gesetzt hatte: Die bekannten Ruinen einer mittelalterlichen Burg.
Bei seiner Recherche hatte er viele Bilder gesehen.

Dann fiel ihm ein, dass er kein Handy hatte.
Wie sollte er den Weg finden?

“Ich muss wohl die Leute fragen…”, dachte er sich und verzog dabei das Gesicht. Er hasste es mit fremden Leuten zu sprechen. Als extrovertiert würde man ihn nicht beschreiben.
Bevor er seine Entscheidung anfing zu bereuen, sprach er sich selbst Mut zu.
“Das ist Teil der Prüfung, komm. Daran wirst du wachsen.”
Er atmete einmal tief durch und sprach die Frau im Blazer an, die auf ihn zukam.
Sie konnte kein Englisch. Er konnte ihr auch kein Bild zeigen. Am Ende verabschiedeten sie sich unangenehm voneinander ohne zu wissen, was der jeweils andere meinte.
“Das wird wohl schwieriger, als ich dachte. Shit.”

Er schmollte eine Weile darüber, wie schwer es ihm fiel. Unfair.
Dann fiel ihm eine Lösung ein.
“Fuck. Wieso bin ich da nicht vorher drauf gekommen.”
Er zog ein kleines Notizbuch und einen Stift aus der Seitentasche seines Rucksacks. Beides hatte er gekauft, um seine Reise zu dokumentieren.
Er zögerte. “Schade, dass es jetzt dafür herhalten muss.”
Er schüttelte den Kopf. “Ach quatsch, das ist doch auch Teil der Reise.”
Mit seinen zwei neuen Waffen im Kampf gegen die Fehlkommunikation, machte er sich auf, neue Opfer zu finden.

Nach langem Herumfragen, viel Herumirren und wilden Zeichnungen, fand er seinen gesuchten Ort. Glücklich bestieg er den Hügel, der ihn zu seinem Ziel führte.
“Mit Maps wäre ich vieeel früher angekommen”, dachte er sich. Aber so war er ins Gespräch mit Leuten von hier gekommen. Das freute ihn. Er kannte nun das Wort für Burg. Glaubte er zumindest.
Klar, er wusste, es war total umständlich, aber noch gefiel es ihm so. Dadurch, dass er so viel Mühe in das Aufsuchen des Ortes gesteckt hatte, war dieser viel besonderer für ihn geworden.
Außer Atem kam er oben an. Es stach in seiner Rippe. Er musste sich einen Moment hinsetzen.
Er ließ den Blick über die Ruinen schweifen. Viel war wirklich nicht mehr übrig. Die Natur hatte sich fast allem bemächtigt. Sträucher und Blumen hatten die alten Steine als ihr neues Zuhause gewählt und präsentierten sich stolz darauf. Es wirkte fast wie ein Gemälde aus der Romantik.

Dann nahm er eine Bewegung aus dem Augenwinkel war. Aus Reflex folgten seine Augen diesem Instinkt und erblickten eine Person, die unter einem Torbogen durchschritt.
Seine Augen wurden groß. Er kannte diese Person!