ERzählt 12: weggefährtin

Veröffentlicht am 05.07.2021

Kennen war vielleicht übertrieben. Aber bekannt könnte man schon sagen.
Sie erblickte ihn auch. Er hatte unwillkürlich angefangen zu lächeln.
Sie kam auf ihn zu.
Vor ihm stand seine Retterin aus dem Park.

“Was ein Zufall”, sagte sie, als er aufstand. Sie breitete die Arme aus und bot eine Umarmung an. Er nahm sie überrascht an.
Ihre Offenheit war angenehm. Nicht zu aufdringlich.
“Ja total. Was machst du hier?”, antwortete er, als sie sich lösten.
“Ich wollte mir noch einmal diese Ruinen anschauen. Ich war vorgestern schon hier, aber bevor ich fahre, wollte ich noch einmal herkommen.
Und du?”
“Ich wollte mir auch die Ruinen anschauen. Obviously.” Sie lachten. “Ich wollte noch was Schönes in der Stadt erleben, bevor ich fahre.”
Er fasste, ohne dass er es merkte an seine Rippen.
Ihr fiel es auf und ein kleiner Schmerz der Empathie huschte über ihr Gesicht.
“Ah stimmt. Alles wieder verheilt?”
“Ja, so gut wie. Dank dir. Vielen vielen Dank nochmal!”
“Kein Problem. Das macht man doch so.”
Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Sie übernahm glücklicherweise das Ruder der Konversation.
“Soll ich dir eine Rundtour geben? Ich kenne mich schon relativ gut aus”, sagte sie und stütze dabei selbstbewusst die Hände in die Seiten.
Er musste schmunzeln.
“Ja gerne.”

Sie übernahm die Führung und ging strammen Schrittes Richtung jahrhundertealte Steine. Er trotte hinterher und ließ sich von ihren Erklärungen und Ausführungen berieseln. Es war angenehm, nicht alleine zu sein, obwohl er das erst gewollt hatte. Die Fragerei durch die Stadt hatte ihn geschlaucht, aber ihre Energie sprang auf ihn über und er war froh, dass er sich die Mühe gemacht hatte, diesen Ort zu finden.
Das Universum hatte ihm eine Partnerin zur Seite gestellt.
Um es klarzustellen, nicht romantisch.
Er war nicht in dem Sinne an ihr interessiert, aber er spürte, er könnte viel von ihr lernen. Faszination, beschreibt es am besten. Sie verkörperte Ideen und Ideale, die er anziehend fand, die er realisieren wollte. Und sie vor sich in Form eines Menschen zu sehen, das war, was diese Faszination auslöste. Er wollte sich jedoch nicht aufgeben und blind folgen. Eher sollte es ein Ansporn für ihn sein, dass es möglich ist, zu leben, wie er sich das wünschte. Vielleicht hatte er eine Lehrerin gefunden. All das ging ihm durch den Kopf, als er sich die Ruinen mit ihr anschaute.

Der Entschluss war gefasst. Er wollte sich nicht abkapseln und seine Chance vertun. Einen Versuch war es wert, eine Chance, sich mit einem Menschen zu umgeben, der ihm helfen würde, zu wachsen.

Sie kamen zum Halt. Der Torbogen markierte das Ende der Tour.
“Also, hat’s dir gefallen?”
“Ja mega. Vielen Dank!”
“Perfekt. Die ganzen Infos hatte mir ein älterer Mann letztes Mal mitgegeben. Ich hatte schon Sorge, ich hätte es alles vergessen.”
“Ach, du hättest mir sowieso alles erzählen können. Hätte den Unterschied ja gar nicht gemerkt.”
“Stimmt auch wieder.”
Sie lachten.
“Was sind eigentlich deine nächsten Reisepläne?”, fragte er.
“Hmm, ich wollte gleich mit dem Roller hoch zum Vulkan. Dort ein bisschen die Gegend erkunden. Das soll mega schön dort sein. Hat mir auch der ältere Mann empfohlen. Da ist dann auch ein Hostel, vielleicht schlafe ich dort. Und morgen dann weiter Richtung Osten.”
“Ach cool! Den Vulkan hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Da würde ich auch gern mal hin.” Er überlegte kurz. “Kann ich vielleicht mit?”
“Ja, klar! Müssen mal schauen wegen des Rollers, aber sollte klappen.”
“Echt? Ey cool, danke sehr.”
“Ach, kein Problem.” Sie lachte und zeigte erst auf ihren und dann auf seinen Rucksack. “Sind doch beide Vagabunden.”

Sie gingen zum Roller. Er war nicht so groß, aber er konnte sich gerade so noch hinter sie quetschen. Es kribbelte in seinem Bauch.
Aufregung.
Normalerweise kannte er es von Vorträgen, Präsentationen oder dergleichen und hatte dementsprechend eine eher schlechte Assoziation damit. Aber er begann es umzudeuten.
Aufregung war nicht gut oder schlecht. Aufregung war Energie. Die er für sich nutzen konnte. Die er auch brauchte, um zu wachsen.

Sie zündete den Motor und sie düsten los. Zum Kribbeln gesellte sich ein angenehmer Fahrtwind und das Gefühl von großer Freiheit.
Auf kurvigen Straßen näherten Sie sich dem erkalteten Feuerberg.