ERzählt 2: supermarkt

Veröffentlicht am 01.03.2021

abend

17:02 Uhr

Er schloss die Badezimmertür hinter sich und begab sich auf den Weg zur Küche.
Er wohnte alleine, keiner konnte ihn in seiner Trübseligkeit stören. Er musste niemandem etwas vorspielen. Seine Füße stoppten vor dem Kühlschrank. Wieder ein Gerät ohne Verstand, welches seinen Befehl bis ans Ende seiner Tage ausführt. Seine Stirn warf Falten. Wüsste er doch nur seinen Sinn in dieser Welt! Er öffnete den Kühlschrank und blickte einen Moment hinein. Gähnende Leere. Hier und da lag ein Krümel etwas, was wahrscheinlich schon längst weggeworfen werden sollte. Aber dafür hatte er keine Zeit. Sein Arm wanderte routiniert zum unteren Fach, wo sein Reisdrink seinen festen Platz hatte. Er hob ihn aus seinem frischen Zuhause und stellte ihn auf den Tisch. Eine von zwei Zutaten hatte er schon beisammen. Er richtete sich auf und schloss die Tür sanft. Sein Blick wanderte über die staubigen Flächen zum Fenster – nach draußen. Ein Vogel flog vorbei. Mehr nicht. „Wow“, entglitt seinem Mund spöttisch. Nichts änderte sich.
Er riss sich los von dem atemberaubenden Schauspielen außerhalb seines eigenen Raums und suchte nach den Cornflakes. Sie sollten eigentlich immer dort oben auf dem Regal stehen. Aber dort war nichts.
„Fuck.“
Es fiel ihm wieder ein. Er hatte sie gestern aufgegessen und wollte später neue kaufen. Natürlich hatte er keine neuen gekauft.
„Scheiße!“
Ein tiefer Seufzer entwich seinem schlaffen Körper. Er musste wohl in den Supermarkt ein paar Straßen weiter.
„Was für ne dumme Scheiße?!“ regte er sich künstlich auf.
Er zog sich einen Pullover, den er schon seit 2 Tagen waschen wollte, weil Müsli ihm draufgekleckert war, über sein Shirt und ging Richtung Tür. Er schaute sich noch einmal im Spiegel an. „Wird schon gehen“, dachte er sich, als er sich in ausgelatschte Sneaker drückte und ein paar Krümel von seiner Schlafjogger wischte. Noch den Schlüssel und ein paar Münzen und er verließ die Wohnung.

17:12 Uhr

Die frische Luft stach ihm in die Nase. Er war nur noch die benebelnde CO2-angereicherte Atmosphäre in seiner kleinen Welt gewohnt. Er ging schneller, es war kalt. Zum Glück war der Supermarkt nur zwei Straßen entfernt.

17:18 Uhr

Er stand eine Weile vor dem Frühstücksregal im Supermarkt. In einer Hand hing bereits eine Packung kühler Reismilch. Das Kondenswasser tropfte langsam und zögernd auf die Fliesen des Bodens herab, als wollte es sie nicht beschmutzen.
Sollte er zwei Packungen oder nur eine kaufen? Besser eine. Aber er hatte keine Tasche…
Wird schon gehen, dachte er und griff nach oben und zog zwei Pakete seiner Sorte heraus. Dabei fiel ihm eins herunter. Das laute Rascheln der einzelnen Flocken, die wie ein Taifun in der Tüte aufwirbelten, machte ihn nervös.
„Shit.“
Er klemmte eine Packung unter seinen Arm, bückte sich und hob die andere auf.
Er richtete sich auf und drehte sich nach links, um zur Kasse zu gehen. Und da stand sie. Und blickte ihn direkt an. Mit einem leichten Lächeln, wie man alte Freunde begrüßt, bei denen man nicht ganz weiß, wie nah man sich noch ist.
„Hi“
„Hi“
Wieso ausgerechnet jetzt, musste er sie treffen? Er hatte sich doch gerade eingeredet, dass er über sie hinweg sei. Und warum musste sie immer noch so gut aussehen?!
„Wie gehts?“
„Ganz gut“ Er zwang sich zu einem Lächeln, was keinen von beiden überzeugte. „Bisschen einkaufen. Und selbst?“
„Auch ganz gut.“
„Nice.“

Der schwere Schleier, des betretenen Schweigens, der sich über die beiden gelegt hatte, wurde durch das laute Grummeln seines Magens gelüftet.
„Sorry, ich muss wohl los…“, sagte er mit einem schmerzerfülltem Lächeln.
„Alles klar." Sie räusperte sich. “War nett, dich mal wieder zu sehen.“
„Ja, fand ich auch.“ sagte er, sein Blick zu der kleinen Pfütze des Wassers gewandt. Er konnte ihr bei so einer offensichtlichen Lüge nicht in die Augen schauen.
Er ging rechts an ihr vorbei, Richtung Kasse und drehte sich nicht um.
»Fuck«, war sein einziger Gedanke.
Er schloss die Augen und sah ihre blauen Augen hasserfüllt und angeekelt auf ihn niederstarren.
Sie blickte ihm hinterher, doch war ihr Blick besorgt, nicht abgestoßen. Sie wollte ihm helfen, aber sie konnte nicht. Sie wusste nicht, was sie sagen könnte. Selbst wenn sie noch die Nähe gehabt hätten.
Es tat ihr leid, aber es gab keine Schuld.
Einen Moment später drehte sie sich um und ging weiter. Ihre volle Einkaufstasche in der einen Hand, in der anderen ihr Einkaufszettel, auf dem alles abgehakt war.