ERzählt 4: lichtbüschel

Veröffentlicht am 10.05.2021

Der Zug fuhr ein. Mit ihm standen nur 4 andere Leute auf dem Bahnsteig.
Er überlegte nochmal, ob er wirklich alles abgeschlossen hatte. Aber es konnte gar nicht anders sein, er hatte alles nochmal vor dem Gehen überprüft. Allerdings in Hektik, weil er mal wieder zu spät losgegangen war.
Die letzten Meter zum Gleis hatte er rennen müssen.
Er griff seine Duffelbag vollgestopft mit seinen Klamotten und rückte nochmal den Rucksack zurecht.
Warum war er aufgeregt?
Es waren doch nur seine Eltern.
Er machte sich Vorwürfe, dass er sie belasten würde.
Aber weiter konnte er diese Gedanken nicht spinnen, denn er musste rasch einsteigen. Im Zug suchte er sich einen gemütlichen Sitzplatz und breitete sich aus. Die Fahrt würde über zwei Stunden dauern. Er holte das Buch, das er sich neu gekauft hatte, aus seiner Tasche und begann zu lesen.

Sein Blick hing an den Blättern der Bäume über ihm. Das Licht brach durch sie, suchte jede Lücke und schaffte es hindurch. Die Schatten auf dem Grund bewegten sich wie formlose Wellen.
Er schloss die Augen und genoss diesen Augenblick.
Die Sonne wärmte sein Gesicht und er spürte sie prickeln. Auf seinen Wangen, seinen Armen, seine Händen.
Er saß auf einer Wiese umgeben von Mohnblumen. Auf seinen Händen gestützt und den Kopf entspannt zurückhängend hörte er wieder die Lieder des Windes, die auf der Harfe der Grashalme gespielt werden. Er hörte die Sinfonien der einzelnen Vögel, die die Freiheit besangen.
Kurz nachdem er angekommen war, war er sofort rausgegangen, um die magische Stille und die heilende Einsamkeit der Natur zu genießen. Begleitet wurde er vom Hund seiner Eltern.
Er atmete tief ein und hielt die Luft. Sein Körper weiterhin entspannt, spürte er langsam das Bedürfnis, wieder zu atmen. Er wartete noch einen Moment. Und schließlich ließ er los und ließ den aufgestauten Atem langsam wieder frei. Dabei öffnete er seine Augen und sah den Hund vor sich liegen.
“Na du?”
Der Hund blickte auf und schaute ihn an. Seine Augen klar und verständnisvoll.
Er betrachtete ihn einen Moment und gerade, als er den Gedanken fasste, dass der Hund ihn vielleicht wirklich verstanden hatte und leider einfach nicht sprechen konnte, nieste dieser.
Sein ganzer Körper schüttelte sich und seine langen Ohren flogen hin und her.
Er musste lachen.
“Du bist einer.
Der Hund wedelte mit dem Schwanz. Er fühlte sich wohl und geliebt.
“Na komm, wir gehen zurück”
Er hievte sich hoch und klopfte die Erdreste von seiner Hose. Tätschelte den Hund auf dem Kopf und ging dann langsam los.
Die Sonne neigte sich dem Ende zu. Aber es war kein Abschied. Es war wie eine Umarmung, um zu sagen: “Keine Sorge, morgen bin ich wieder für dich da.”
Sein Blick wanderte zu den paar Wolken, die sich durch die Lüfte gleiten ließen.
Wann hatte er sich das letzte Mal so entspannt gefühlt?
In der Stadt sicher nicht. Es war gut, dass er zu seinen Eltern gefahren war.
Es hatte sich erst wie Versagen angefühlt. Aber nachdem er seine Ex im Supermarkt gesehen hatte, wusste er, er konnte nicht bleiben. Nicht in der Stadt und nicht, so wie er war.
Es fiel ihm schwer, Hilfe anzunehmen. Aber seine Eltern machten es ihm zum Glück leicht.
“Bleib so lange du brauchst”, meinte sein Vater zu ihm.
Seine Mutter neben ihm stehend und lächelnd.
Er wusste, sie machten sich Sorgen, aber sie wussten, er würde schon wieder zu sich finden.
Dieses Vertrauen hatte er in der Stadt vermisst. Er hatte ihr alles gegeben. Er hatte Angst, wieder zu vertrauen. Er wusste nicht mehr, wie man vertraute.
Aber hier würde er es wieder lernen. Das war sicher.
Er blickte zur Seite. Der Hund trabte fröhlich neben ihm her, sein Schwanz verriet immer ehrlich seine Stimmung. Er musste lächeln. Er empfand so viel Liebe für dieses Tier, was ihn seit seinen Kindheitstagen schon begleitete.
Diese Liebe half ihm, zu heilen.
Genau wie das liebevolle Rot am Himmel, das ihn erinnerte, dass Liebe nicht bedeute, einen anderen Menschen zu begehren, sondern alles in seiner Vollkommenheit schön zu finden.