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Veröffentlicht am 20.02.2022

Wie ein Algorithmus mir genommen hat, mich schön zu fühlen


Ich liege im Bett. Mir ist langweilig. Zeit verstreicht, ewig lang wie es scheint. Jedes Ticken der Uhr fühlt sich an wie eine Stunde. Ich warte darauf, dass etwas passiert. Aber es passiert einfach nichts. Also kommt, was unweigerlich kommen muss. Ein unbewusster Griff zum Handy. Meine Bewegungen passieren von selbst, sind wie einstudiert.
Ich bereue es schon, bevor ich die App überhaupt geöffnet habe.
Das erste Lächeln schlägt mir entgegen. Nach rechts.
Dann Daumen am Kinn und Zeigefinger an der Schläfe, was die Konturen ihres Gesichts unterstreicht. Nach rechts.
Ein gezwungenes Lächeln. Sichtlich unwohl. Nach links.
Das endlose Wischen hat wieder begonnen.
Die ist hübsch, die ist hübsch, die nicht, die ist hübsch, die nicht.
Und mit jedem Wisch wird die Sehnsucht größer.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich lese mir die Beschreibungen bei jeder durch. Am Anfang hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Ich dachte, es sei oberflächlich, nur die Bilder anzuschauen. Mittlerweile ist mir das aber egal. Das Gewissen hat sich dem Teil meines Gehirns unterworfen, das wohl aus der Kreidezeit stammt.

Bei der Hälfte von euch denke ich mir, ich habe sowieso keine Chance. Ich bin nicht hübsch genug für euch. Nicht heiß genug. Nicht cool genug, nicht attraktiv genug.
Mein Profil habe ich schon oft genug angepasst. Immer mit Hilfe meiner Freund*innen, die mir sagen, dass es so gut ist.
Weniger Lachen, damit ich unnahbarer aussehe. Aktuellere Bilder. Ästhetischere Fotos. Freshere Outfits. Eine witzigere Beschreibung.
Ich finde es gut. Finde mich darauf schön.
Aber ihr anscheinend nicht.
Keine Likes, keine Matches.

Deine Likes für heute sind aufgebraucht.

Diese Nachricht lässt mich erst spüren, wie vernebelt mein Hirn ist. Mein Blick geht zur Uhr. Mir entweicht ein unzufriedenes Zungenschnalzen.
Was habe ich die letzte Stunde getan?
Ich versuche mich zu erinnern, welche Menschen ich gesehen habe. Aber es ist alles nur verschwommen. Es fallen mir vielleicht noch drei Gesichter ein.
Ich bin erschöpft, obwohl ich nichts getan habe.
Und unzufrieden.

Und dann kommt sie wieder. Diese eine verdammte Frage.
Diese Frage, die einfach nicht aus meinem Kopf will. Die mich immer wieder plagt.
Wenn Du es schaffst, wieso ich dann nicht?
Was mache ich falsch? Bin ich zu klein? Bin ich zu untrainiert? Bin ich zu unlustig? Bin ich zu nett? Zu zurückhaltend?
Bin ich am Ende vielleicht einfach zu sehr ich?
Was an mir ist nicht attraktiv?
Was soll ich an mir ändern, damit ich endlich attraktiv werde?

Diese Fragen irren in mir umher und versetzen meinem Selbst jedes Mal kleine Stiche. In meinem Lächeln beginnen kleine Risse aufzutauchen. Und in meinem Blick ein Glanz von Unzufriedenheit.
Meine Brauen ziehen sich zusammen aus Frust und Wut.

Ich bin es leid. Ich bin es einfach nur noch leid, wie schlecht mich diese App fühlen lässt. Diese Zahlen, schwarz auf Herz, verhöhnen mich. Dabei weiß ich gar nicht, ob ich den ganzen Leuten angezeigt werde, die ich sehe.
Was sagen diese Zahlen also letztendlich aus?
Nichts.
Trotzdem sind mir diese scheiß Zahlen wichtiger geworden als das Feedback von echten Menschen in meiner Umgebung.
Sie sind mir wichtiger geworden als ein ernst gemeintes “Du hast ein schönes Gesicht” oder ein “Du hast ein tolles Lachen”.
Wichtiger als Menschen, die mir ihre Zuneigung wirklich zeigen.
Ich will mich vergleichen, ich will in Nummern sehen wie attraktiv ich bin. Dabei merke ich gar nicht, wie attraktiv ich in echt auf meine Mitmenschen wirke. Und vielleicht auch auf eine Art, die ich nicht akzeptieren will.

Mir reicht es. Ich muss nicht tun, als wäre ich jemand anderes. Ich muss mich nicht an ein homogenes Schönheitsideal anpassen. An ein homogenes “Das ist cool”.
Menschen, die kein Interesse an mir haben, so wie ich bin, so wie ich nun mal wirke, die brauche ich nicht. Deren Bestätigung bringt mir nichts. Denn sie beklatschen dann nur eine aufgesetzte Maske.
Wenn es bedeutet, unveränderliche Eigenschaften von mir versuchen abzulegen, um dazuzugehören, sollte ich überlegen, warum ich dazugehören will und ob es mir wirklich Gutes tut.

Ich wechsle den Reiter und tippe auf Konto löschen.

Bist du dir wirklich sicher?

Nein, bin ich nicht. Ich schaue nochmal auf das Herz mit den Zahlen. Es hat sich nichts geändert. Es steht noch immer die gleiche Zahl dort.
Aber vielleicht bald. Vielleicht gleich.

Wem will ich etwas vormachen? Diese Zahl ist schon seit Wochen die gleiche. Trotzdem habe ich Angst, jemanden zu verpassen. Etwas zu verpassen. Denn ich weiß, dass wenn ich doch ein Match bekomme, gar keine Lust mehr habe zu schreiben oder es wieder eine langweilige Konversation über Nichts wird. Ich will nur den Rausch. Nicht den Menschen.

Es ist Zeit, für mich einzustehen.
Ich klicke also auf Ja.
Es lädt kurz und dann ist es schon geschehen.
Mein Atem löst sich aus seiner Anspannung. Eine Last fällt von mir ab. Ich bin befreit.

Ich lege das Handy beiseite und gehe schnell ins Bad. Ich will mich im Spiegel anschauen und beobachten, ob sich vielleicht schon etwas verändert hat. Mein Spiegelbild blickt erwartungsvoll zurück.
Ich warte einen Moment. Dann muss ich über mich selbst lachen.
Und dieses Lachen, was ich selbst an mir mag, beginnt wieder schüchtern zu strahlen. Es kommt wieder zurück zu mir.