florence

Veröffentlicht am 25.12.2021

Triggerwarnung: Dieser Text behandelt das Thema Suizid. Wenn du selbst Gedanken in diese Richtung hast, dann wende dich an die Telefonseelsorge unter 0800 / 111 0 111 oder per Chat über die Webseite: https://www.telefonseelsorge.de/


inspiriert von Sartre - Geschlossene Gesellschaft

Die Dielen knartschen, als meine nackten Füße sie berühren. Ich verharre für einen Moment. Schließe die Augen und hoffe. Ich höre nichts, also wage ich es. Drehe mich zu dir um. Du schläfst. Sanft und ruhig hebt und senkt sich dein Brustkorb. Deine Augen geschlossen. Ich bin erleichtert. Meine Gesichtszüge entspannen sich. Ich hatte gar nicht gemerkt, was für eine Grimasse des Schreckens ich gezogen hatte.

Der Boden ist so kalt.
Ich schlüpfe aus dem warmen Kokon der Decke und richte mich auf. Langsam beginne ich meinen Weg hinaus aus dem Zimmer. Ich bin so leise als würde ich auf Moos gehen. Vorsichtig und sanft schleiche ich Schritt für Schritt weiter. Auf Fußspitzen weiche ich den Dielen aus, von denen ich weiß, dass sie laut sind. Die letzten Tage habe ich sie alle immer wieder ausprobiert. Du hast dich noch über mich lustig gemacht.

Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Erinnerungen daran, wie du mich immer zum Lachen bringst mit deinen schlechten und gemeinen Witzen.

Aber ich kann nicht mehr.
Nach jedem einzelnen Schritt schaue ich verstohlen zu dir. Immer bist du ein bisschen weiter weg, aber bei keinem hast du mich bis jetzt bemerkt.
Mein Herz hämmert ununterbrochen.
Ich erreiche den Flur. Bald ist es nicht mehr weit. Aber hier ist noch höchste Vorsicht geboten. Schritt für Schritt gehe ich weiter. Richtung Tür. Meine Ohren schmerzen schon vom Lauschen. Aber ich höre nichts.
Auch nicht als ich vor der Tür stehe.

Ganz sachte drücke ich die Klinke herunter und schlüpfe durch die Tür. Und stehe in der Küche. Die ganze Aufregung hat mich wach gemacht. Ich glaube, so wach war ich noch nie. Meine Gedanken sind so klar.
Ich gehe zum Herd. Auf den Fliesen muss ich eigentlich nicht schleichen. Ich tue es trotzdem. Ich bücke mich und

Husten

Ich verharre. Ich lausche auf Schritte. Ich lausche auf Dielen. Ich lausche, ob deine Decke sich bewegt. Mein ganzer Körper ist eingefroren, aber meine Wangen sind ganz rot und mein Gesicht heiß. Das Feuer der Aufregung brennt von innen.
Fast wünsche ich, dass du aufstehst. Dass du bemerkst, dass ich nicht da bin. Dass du mich hier in der Küche findest. Dass du einen deiner Witze machst und mich küsst. Und wir gehen gemeinsam wieder schlafen.

Aber du kommst nicht. Du schläfst.

Ich löse mich aus meiner Anspannung und greife hinter den Herd. Ich ziehe den Schlauch ab und drehe den Gashahn auf. Das leise Zischen verrät mir, dass es ausströmt. Ich schaue zum Fenster und vergewissere mich, dass es geschlossen ist.

Dann trete ich meinen Weg zurück zu dir an. Auch jetzt wieder hörst du mich bei keinem meiner Schritte. Du hast immer einen tiefen Schlaf gehabt. Die Diele, die mich zu Beginn fast verraten hätte, vermeide ich. Ich schaue sie fast vorwurfsvoll an. Dabei hatte sie es vielleicht gut gemeint.

Ich fasse die Decke sanft an und gleite darunter. Ich küsse dich auf die Stirn, die Wange und einen letzten Kuss auf den Mund. Dann schmiege ich mich an dich. Ich weiß, du magst es nicht. Aber jetzt möchte ich deine Wärme noch einmal spüren.

Eine Träne rollt meine Wange herunter und lässt mich Salz schmecken.
Ich lächle traurig. Und schließe dann die Augen.
Ich will mit dir sein, aber ich will nicht mehr sein.