Hybris

Veröffentlicht am 16.12.2020

Oh, die süße Frucht des Übermuts!
Oft verschlinge ich sie begierdig, der Nektar noch vom Munde tropfend. Lebendig und erquickt fantasiere ich von meinen zukünftigen Taten, wie ich schaffe, was niemand erwartet.
Doch jedem Höheflug eilt ein Sturzflug nach. Wie Ikarus’ Flügel schmilzt mein Selbstvertrauen und mein Tatendrang hinfort und ich falle tief. Ich falle tief hinein in den Ozean und beginne zu ertrinken. Zuerst wehre ich mich. Beginne zu strampeln, doch meine Kleidung saugt sich voll und ich erschöpfe schnell.
Dann lasse ich es geschehen, sehe keinen Grund mehr zu kämpfen, habe keine Kraft mehr zu überleben.
Ich blicke ein letztes Mal hinauf. Betrachte voller Entzücken wie die Sonnenstrahlen durch das Wasser brechen. Fasziniert von der Schönheit dieses Spektakels bin ich voller Trauer über all die Dinge, die ich nicht geschaffen habe, über all die Kraft, die ich scheinbar verloren habe. Ich verabschiede mich, schließe meine Augen und lasse mich umarmen von der gleichgültigen Stille Poseidons.
Plötzlich spüre ich Sonnenstrahlen und Sand an meinem Gesicht. Ich öffne meine Augen: Land! Ich huste und spucke salziges Wasser, aber ich lebe! Ich muss lachen, von ganzem Herzen. Was für ein Wunder!
Doch dann erblicke ich in der Ferne einen Baum und mein Gesichtsausdruck trübt sich.
Wird dieses Spiel, dieser Kreislauf denn kein Ende haben?