Zweifeln

Veröffentlicht am 22.10.2020

“Ich frag mich”, er machte eine kurze Pause und starrte in die Ferne. Er schien zu überlegen. Ich wollte ihn nicht unterbrechen. “Ich frag mich, ob das alles so richtig ist.” Ich wartete wieder einen Moment, ob er noch etwas sagen würde und schaute ihn an. Er schaute weiterhin auf den Atlantik. Wir saßen auf der Terrasse und genossen die Sonne. Er rauchte, aber er schien seine Zigarette vergessen zu haben. Sie hing leblos zwischen seinen Finger, ihre Lebenslinie langsam am Verschwinden. Dann bewegte sie sich nach oben zu seinem Mund. Ich verfolgte sie aufmerksam. Er nahm einen Zug und stieß ihn fast sofort wieder aus. Er rauchte nicht gerne. “Er hatte noch nie geraucht, warum jetzt?”, fragte ich mich. Ich nahm einen Schluck von der Fanta Limón. Stellte mein Glas wieder ab.
Ich schaute in sein Gesicht, auf sein Profil. Er wirkte angespannt.
Er drehte sich zu mir, aber er schaute nur auf die Zigarette, als würde er mich nicht anschauen wollen. Als hätte er Angst. Seine Hand bewegte sich zum Aschenbecher und langsam drückte er die Zigarette aus. Sie war nicht mal zur Hälfte abgebrannt. Er blickte mit leeren Augen darauf, wie er dieses Leben zerdrückte. Wie sich der Stängel unter der Last bog und brach und schließlich nachgab, weil es doch keinen Zweck hatte und sein Schicksal akzeptierte. Die Glut erlosch und es blieb nichts als graue Asche und gebrochener Stängel. Er drückte noch etwas weiter herum, aber schien es selbst nicht zu bemerken. Dann räusperte er sich und ließ los. Er schaute mir in die Augen. “Weißt du, diese Entscheidung, einfach zu machen, was ich will.” Er drehte sich wieder um und blickte wieder auf das Meer. Mit einer melancholischen Hoffnung, ob es ihn erretten könnte, von den Leiden und Unsicherheiten dieser Welt. “Ich habe eigentlich Spaß, aber dann gibt es Tage, da will ich einfach nicht mehr.” Wieder eine Pause. Er mochte es nicht, über seine Gefühle zu sprechen, aber das war nie ein Problem für mich gewesen. Ich wusste auch, dass er nur mir diese Sachen anvertraute. Dass er immer nur einer Person vertraut. Ich schwieg weiter und schaute auch auf das Meer. “Es ist so anstrengend”, seufzte er. Er schaute auf den Boden, seine Arme herabgesenkt, seine Ellbogen auf seine Knie gestützt und die Hände zusammengefaltet. “Ich weiß nicht, wer ich bin und ich will einfach nur machen, was ich mag und kann. Ich habe Angst, dass ich alles falsch mache.”
“Ich fühle mich nutzlos und wie Ballast.”


“Manchmal glaube ich, meine Träume sind zu groß und ich bin doch nur ein kleiner Fisch, der nichts ausrichten kann. Dass ich mich einfach fügen sollte und mich nicht so sehr wehren.”

“Tut mir leid, jetzt habe ich dich vollgelabert.” Er schaute zu mir mit einem verschmitzten Lächeln, als sei es ihm unangenehm. Es war ihm auch unangenehm, wieder jemanden so nah an sich heranzulassen.
“Nein nein, alles gut”, sagte ich zu ihm und lächelte. “Ist doch vollkommen ok, du hörst mir ja auch zu.”
“Danke”. Er richtete sich wieder auf und schaute aufs Meer.
“Ich muss einfach mehr machen, denke ich”, sagte er.
“Vielleicht brauchst du einfach eine Pause. Und deine Eltern scheinen es doch zu unterstützen, sonst würden sie dich nicht wohnen lassen.”
“Das stimmt schon, aber ich fühle mich nicht, als würde ich vorankommen. Es ist wie ein goldener Käfig. Es geht mir gut, aber die Sachen, die ich machen möchte, gehen nicht.”
“Gut, aber dafür kannst du ja nichts. Du bist ja nicht Schuld an Corona.”
“Nein, das stimmt.” Er tippelte mit seinem rechten Bein und wrang mit den Händen. “Es ist nur, ich werde so träge. Ich spüre das selber.” Er seufzte. “Ich bin auch selber Schuld. Wenn es zu schwierig wird, verkrieche ich mich. Ich schiebe es auf die Stadt, aber hier ist es ja nicht anders. Ich habe diese ganzen wundervollen Ideen, aber nicht den Mut sie zu beginnen.”

“Was, wenn es gar keinen Sinn macht? Was, wenn ich es nicht schaffe?”

Ich schwieg. Ich wusste auch nicht recht, was dann. Was könnte man jetzt sagen, was nicht wie ein Standard-Aufheiterungsspruch klingt. So saßen wir eine Weile. Und hörten die Wellen an die künstlichen Felsen klatschen und die Schweden im Pool lachen. Den Wind rauschen und die Vögel zwitschern. Es wurde langsam dunkler.
“Weißt du”, fing ich an und schaut zu den Wolken. “Viele wissen nicht wohin mit sich. Ich auch nicht. Und das ist in Ordnung.” Er drehte sich zu mir und schaute mich an, aber ich blickte weiter auf den erflammten Himmel. “Was du machst, ist sehr mutig. Einfach Zeit für sich nehmen… Das macht nicht jeder. Und alle scheitern mal.”
“Ich weiß, ich weiß. Ich sollte einfach weiter machen.”
“Hmm…”, ich überlegte. “Nimm es nicht zu ernst. Es soll dir doch Spaß machen jetzt. Und eine Richtung, eine Tendenz hast du ja erkannt. Es ist in Ordnung, dass du nicht weißt, was du sein willst. Wir sind jung, es kann sich noch alles ändern.”
Ich hörte das Eis in seinem Glas zerbrechen. Der letzte Laut, den es von sich gab, bevor es sich entschied nicht mehr am alten Zustand festzuhalten.
“Mach einfach weiter so, Rückschritte werden kommen. Aber du erkennst ja, wenn es nicht mehr läuft und das ist doch gut.” Ich schaute auf die Bäume. “Wir sind hier nur so eine unbestimmte Zeit auf der Erde, wieso sollten wir sie nicht genießen?”
Ich blickte zur Seite und lächelte ihn an. Er zog seine Mundwinkel nach oben und brachte sich auch zu einem Lächeln.
“Du hast ja recht.”
Er stand auf und trank den letzten Rest seiner Cola.
“Danke für das Gespräch.”
“Kein Problem.”
“Ich denke, ich gehe einfach mal früh schlafen.”
Sein Lächeln wirkte immer noch gequält.
“Ok, alles klar. Ich bleibe noch ein bisschen.”
“Bis morgen dann.”
“Bis morgen.”
Ich betrachtete wie die dunkelblaue Masse langsam den Feuerteller verschlang. Ich seufzte.
“Keiner hat gesagt, es würde einfach werden” und brachte ein wehmütiges Lächeln zustande.